Jung Ji-yeon ist Chefredakteurin von
Street H, einem monatlich erscheinenden Kulturmagazin über den Seouler Stadtteil Hongdae. Seit 15 Jahren dokumentiert die Zeitschrift bereits den raschen, ständigen Wandel des Viertels, das laut Jung aber nach wie vor vom sog. „Hongdae-Geist“ beseelt ist, der für Vielfalt, alternative Lebenskonzepte, Künstlertum und ungebundene Entstehungsprozesse steht.
Nach über 15 Jahren Arbeit in der Verlags- und Magazinszene entwickelte Jung Ji-yeon ein besonderes Interesse an Lokal-magazinen. 2009 gründete sie Street H, um den stetigen Wandel und die Trends in Hongdae festzuhalten.
In jeder Ecke des Büros von Street H im Seouler Stadtteil Sangsu-dong stapeln sich Magazine sowie Bücher mit Bezug zu Hongdae. Man ahnt die lange Geschichte der Zeitschrift, in der Jung Ji-yeon einmal im Monat gratis von Orten und Menschen des Viertels erzählt und dazu aktuelle Karten und Infografik-Poster beisteuert.
Bereits seit 15 Jahren berichtet das Magazin zeitnah über alle Themen, die für das Viertel relevant sind, also Musik, Kunst, Design, Verlagswesen oder Gastronomie. Ohne aufwändige Werbekampagnen hat sich Street H dabei als langlebiges Medium etabliert, das sowohl von den lokalen Bewohnern als auch von Ladenbesitzern geschätzt wird.
Hongdae, das vor etwa 30 Jahren als Rückzugsort für junge, mittellose Künstler galt, erlebt seit den 2010er Jahren aufgrund von Gentrifizierung und Kommerzialisierung ein ständiges Auf und Ab. Street H hält diesen Wandel akribisch fest und ist zu einem wertvollen Zeitdokument geworden, das einem die Geschichte des Viertels auf einen Blick vor Augen führt.
Wie gelingt es einem Stadtteil-Magazin wie dem Ihren, in der schnelllebigen Stadt Seoul so lange zu bestehen?
Street H ist nicht abhängig von Werbung. Hätten wir uns nur auf finanzielle Unterstützung durch Kunden oder Institutionen verlassen, wäre bei deren Wegfall unser Betrieb schnell zum Erliegen gekommen. Einhergehend mit unserem 10-jährigen Gründungsjubiläum wurde auch unsere Beziehung zu den Menschen hier immer enger. Mittlerweile kommen die Bewohner des Viertels von selbst auf uns zu, um Neuigkeiten aus der Nachbarschaft zu teilen, und bei wichtigen lokalen Anliegen dient Street H häufig als eine Art Sprachrohr.
Sie haben die Veränderungen des Viertels in den vergangenen Jahrzehnten hautnah miterlebt. Was ist Ihre Einschätzung?
Ich bezeichne die Zeit von 2005 bis 2010 als die „Ära der affektiven Kultur“. Nach dem Abflauen des Indieband-Hypes der 1990er bis frühen 2000er schlug die Stunde der vielen Sänger und Sängerinnen mit ihren Akustikgitarren. Das in der heutigen Popkultur gepflegte romantische Image von Hongdae mit seinen Straßenmusikern und gemütlichen, holzverkleideten Cafés wurde genau in dieser Zeit begründet. Auch Festivals gab es damals viele. Und inmitten all dieser bedeutenden kulturellen Strömungen erschien dann im Juni 2009 die erste Ausgabe von Street H.
Können Sie uns erzählen, wie es dazu kam?
Im Jahr 2007 gab ich meinen Job bei einem Verlag auf und gönnte mir für etwa ein Jahr eine Auszeit in New York. Dort blätterte ich häufig in lokalen Zeitschriften wie dem L Magazine und Time Out, die voller nützlicher Informationen waren. Da kam mir der Gedanke, etwas Ähnliches für das Viertel Hongdae in Korea zu erschaffen. In jener Zeit pulsierte Hongdae vor kultureller Vielfalt, und es erschien mir äußerst reizvoll, darüber zu berichten.
Hongdae hat sich aufgrund von Gentrifizierung sehr verändert. Sie werden diesen Prozess bestimmt mit Sorge verfolgt haben.
Ja, ab 2010 beobachteten wir einen allmählichen Anstieg der Mieten. 2013 erschienen die ersten Berichte zu dem Thema, und um 2016 wuchs deren Zahl explosionsartig an. In der Folge büßte Hongdae einen Teil seiner ursprünglichen Dynamik ein. Das Künstlerviertel entwickelte sich mehr in Richtung eines Vergnügungsviertels mit Clubs und Imbissständen. Kleine, charaktervolle Läden machten großen Franchise-Geschäften Platz – ein klares Zeichen der fortschreitenden Kommerzialisierung.
In dieser Zeit musste sich auch Street H den typischen Herausforderungen lokaler Medien stellen. Uns wurde bewusst, dass unser Magazin ungewollt zur Gentrifizierung beitragen könnte. Bis dahin hatten wir oft Sonderausgaben zu nahegelegenen Stadtvierteln wie Yeonnam-dong und Mangwon-dong herausgegeben. Angesichts wachsender Bedenken stellten wir jedoch die Artikel ein, die bestimmte Stadtteile besonders hervorhoben. Schließlich sind solche Informationen leicht auf sozialen Netzwerken zu finden, und wir wollten nicht zusätzlich Immobilienmakler anlocken.
Street H zeichnet die Geschichte, Kulturereignisse und bedeutende Orte Hongdaes nach. Bei seiner Gründung zählte es zu den wenigen Publikationen Koreas, die sich solchen spezifischen Gebieten widmeten. Heute gehört es zu den renommiertesten Lokalmagazinen des Landes.
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Orte für Ihre Berichte aus?
Ich sage oft: „Menschen schaffen Räume, und Räume schaffen Gegenden.“ Ein Raum beeinflusst die Gegend positiv, wenn der Betreiber sein eigenes, klares Konzept verfolgt. In Hongdae gab es beispielsweise einmal ein Café, das von einem ehemaligen Fernsehproduzenten geführt wurde, und es gibt noch einen von einer früheren Radioautorin betriebenen Buchladen. Orte mit solch einzigartigen Geschichten sind heute seltener geworden, aber es finden sich immer noch Menschen, die ihre persönlichen Narrative in ihre Räume einbringen.
Ein weiteres Beispiel ist die Buchhandlung Low Books, die von einer ehemaligen Forscherin eines staatlich geförderten Forschungsinstitutes zusammen mit ihrem jüngeren Bruder eröffnet wurde. Inspiriert wurden sie von einer Independent-Buchhandlung in Gyeongju. Low Books organisiert verschiedene Programme und bietet einen Buchclub an. Orte wie diese finde ich immer berichtenswert. Im Gegensatz dazu meide ich Orte, die als Sprungbrett für Geschäfte in anderen Gebieten oder als eine Art Versuchsfeld wirken, ebenso wie große Franchiseketten.
Sie haben lange Zeit eine Interview-Kolumne geführt. Wer von den bisher interviewten 166 Personen ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Ich denke oft an den Maler Park Seo-Bo zurück, der letztes Jahr verstorben ist. Damals pendelte er zu seinem Atelier in Seongsan-dong. Als ich ihn um ein Interview bat, blieb die Anfrage unbeantwortet, und ich hatte sie schon fast vergessen, als er eines Tages plötzlich anrief und sagte: „Ich bin Park Seo-Bo. Kommen Sie jetzt.“ Als ich unter einem Vorwand versuchte, das Interview auf den nächsten Tag zu verschieben, entgegnete er mir: „Nein, morgen habe ich keine Lust.“ Also machte ich mich allein mit meiner Kamera auf den Weg. Das Interview erwies sich dann als sehr interessant und vor kurzem meldete sich die PARKSEOBO FOUNDATION bei mir, weil sie meine Fotos bei sich aufnehmen möchten.
Street H scheint inzwischen weniger eine gewöhnliche Zeitschrift als vielmehr eine Art öffentliches Archiv zu sein.
Neben meiner Arbeit bei Street H engagiere ich mich in der Archivgruppe ZINC, die sich der chronologischen und thematischen Erfassung von Ereignissen in Hongdae widmet. Die Daten aus dem Zeitraum von Mitte der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre sind relativ gut erfasst, doch die Dokumentation der letzten 20 Jahre, d. h. von 2005 bis heute, weist noch viele Lücken auf. Bei der Recherche zu einem spezifischen Ereignis stellte ich jedoch fest, dass alle gesuchten Informationen in Ausgaben von Street H zu finden waren.
Dank ihrer gründlichen Recherchen und fotografischen Dokumentationen sind frühere Ausgaben von Street H zu wertvollen Zeitdokumenten der Entwicklung Hongdaes geworden.
Mit freundlicher Genehmigung von Jung Ji-yeon
Wie sehen Sie Hongdae aktuell? Viele sagen, es sei nicht mehr dasselbe wie früher.
Man hört schon lange: „Hongdae ist tot“. Aber es gibt immer noch Liebhaber des Viertels. Einer von ihnen sagte mir einmal, Hongdae habe seine Einstellung zum Leben geprägt. Der Geist von Hongdae lebt also weiter. Ein Beispiel ist das Café Sukkara, das über ein Jahrzehnt hinweg hausgemachte Gerichte aus saisonalem Gemüse und Produkten lokaler Bauern servierte. Obwohl es inzwischen geschlossen hat, führt der ehemalige Café-Besitzer den Bauernmarkt Marche@ erfolgreich in Seogyo-dong und anderen Teilen Seouls.
Ich glaube, dass das geistige Erbe und die kulturelle Infrastruktur der früheren Pioniere von Hongdae hier immer noch tief verwurzelt sind. Selbst wenn der kulturelle Kern von damals mittlerweile verschwunden sein mag, werden hier weiterhin neue Experimente und kreative Vorstöße unternommen.
Sie leben selbst in Hongdae. Was schätzen Sie besonders an Ihrem Viertel?
Ich wohne am Rande des Gyeongui Line Forest Park. Diese früher eher unscheinbare Gegend hat sich seit dem Bau der U-Bahn und der Parkanlage zu einem angenehmen Wohnort entwickelt. Besonders genieße ich den etwa 45-minütigen Spazierweg von meinem Haus zum Büro. Seit den 2000er Jahren ist die Natur ein wichtiger Teil unseres Lebensstils geworden, und mein Viertel entspricht genau diesem grünen Trend.