Hongdaes Facettenreichtum ist so groß, dass es schwerfällt, das Viertel nur über ein Wort definieren zu wollen. Doch ein verbindendes Element gibt es: Von Hongdae gehen Trends aus, die bald auch auf andere Regionen im ganzen Land abfärben. In diesem Punkt unterscheidet sich Hongdae deutlich von anderen Universitätsvierteln.
Startpunkt der Wall Painting Street gegenüber dem Hongik Culture Park. Die Wandmalereien an der Hongik Universität, die im Rahmen der Street Art Exhibition entstanden, verschwanden kürzlich durch den Bau eines unterirdischen Campus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind sie jedoch noch erhalten.
Einst war Hongdae ein gewöhnliches Wohngebiet. Der entscheidende Wandel trat ein, als 1955 die Hongik Universität ihre Tore am heutigen Standort öffnete. Mit der Gründung des Hongik Art College 1961 und der Graduate School of Industrial Art 1972 entstanden rund um das Universitätsgelände erste Ateliers von Kunststudenten. Es wurden Rückzugsorte für die Künstler, die man über den privaten Rahmen hinaus als unkonventionelle Mehrzweckkulturräume nutzte.
So kam es hier zu spontanen Diskussionen über Kunst oder Soziales, aber auch zu Performances mit Kritik an der etablierten Kultur. Einige dieser Ateliers wandelten sich zu Galerien oder Cafés, andere des Nachts sogar zu Clubs. Kurzum: Es waren Orte, in denen man ungebremst kreativ sein und mit neuen Ideen experimentieren konnte.
Die Ateliers in Hongdae zogen Künstler, Kulturschaffende und Intellektuelle an und legten somit den Grundstein zur Erschaffung einer alternativen Kulturszene. Es war diese besondere Atmosphäre, die das typische Bild des Stadtteils Mitte und Ende der 1990er Jahre prägte. Die Menschen tauschten sich aus und konnten inmitten eines raschen gesellschaftlichen Wandels wichtige kulturelle Akzente setzen.
Mitten in Hongdae wurde 2007 das spektakuläre KT&G SangSang Madang eröffnet. Mit Kino, Veranstaltungshalle und Galerie unterstützt es Künstler in ihrer kreativen Entfaltung und bietet kulturelle Erlebnisse für die Öffentlichkeit.
Das Laika Cinema in Yeonhui-dong fordert seit 2021 mit seiner Auswahl künstlerisch anspruchsvoller Filme die traditionellen filmischen Konventionen heraus. Auf dem Programm stehen Werke von renommierten Regisseuren wie Andrei Arsenjewitsch Tarkowski und Éric Rohmer.
Die Straße als Bühne
In den 1990er Jahren zeigte Hongdae zwei unterschiedliche Gesichter: Einerseits war es Zentrum der Alternativkultur, andererseits breitete sich rund um die sog. Picasso Street eine klassische Vergnügungs- und Konsumkultur aus. Diese rund 400 Meter lange Gasse zwischen der Hongik Universität und dem Gebäude des FEBC-Senders erhielt ihren Namen nach der berühmten Rodeo Street, die von gehobenen Cafés und Modeboutiquen gesäumt ist. Mit der zunehmenden Präsenz von Cafés und Vergnügungslokalen auf der Picasso Street begann jedoch, die kulturelle bzw. künstlerische Identität Hongdaes ins Wanken zu geraten, und besorgte Stimmen der Kritik wurden immer lauter. Schließlich entstand eine Bewegung, die sich für die Bewahrung des einzigartigen Charakters von Hongdae einsetzte. So u. a. die Street Art Exhibition, die 1993 von Kunststudenten der Hongik Universität ins Leben gerufen wurde.
Diese Open-Air-Ausstellung brachte Kunst vom Campus auf die Straßen von Hongdae und bezog die Anwohner aktiv mit ein. Ein Ergebnis dieser Initiative war die Wall Painting Street, die mit ihren künstlerischen Elementen zur Steigerung der Attraktivität Hongdaes beitrug. Die aktive Beteiligung der Anwohner an den Wandmalereien stärkte den Gemeinschaftssinn und inspirierte viele andere Regionen im Land, ähnliche Projekte zu starten, um ihre lokale Identität zu beleben.
Alternative Kulturräume
Ende der 1990er Jahre kam es aufgrund einer Reihe komplexer Faktoren zur Gründung alternativer Kulturräume in Korea: Die internationale Finanzkrise sorgte für die Abkühlung des Kunstmarktes und erschwerte es jungen Künstlern, ihre Werke zu präsentieren. Die immer größer werdende Diversität der Kulturszene hatte auch ihren Teil daran. Die in großer Zahl erscheinenden experimentellen Arbeiten fanden in traditionellen Räumen keinen Platz.
Einen wichtigen Ausweg aus dieser Lage boten hierbei selbstorganisierte alternative Räume wie das 1999 in Hongdae eröffnete Alternative Space LOOP – der erste seiner Art in Korea. Sein Ziel war es, neue, experimentelle Arbeiten junger Talente zu fördern und den Austausch mit internationalen Künstlern zu suchen. Viele andere Räume wurden seitdem mit einem ähnlichen Konzept eröffnet.
Das Alternative Space LOOP war deshalb von großer Bedeutung, weil es die Alternativkultur in Hongdae während der 1990er Jahre in ihrer Tiefe und Breite erweiterte. Kunst wurde hier nicht als exklusives Gut, sondern als öffentliches und gemeinschaftliches Erlebnis betrachtet. Mit dieser Perspektive versuchte LOOP, soziale, kulturelle und künstlerische Themen einem breiten Publikum näherzubringen sowie Grenzen und Barrieren zu überwinden.
Mass Action, eine Soloausstellung von Chanmin Jeong, wurde für den Wettbewerb des Alternative Space LOOP 2023 ausgewählt. Dieser Raum – der erste seiner Art in Korea – wählt jährlich Künstler aus, die zeitgenössische Themen aus einzigartigen Perspektiven beleuchten.
© Alternative Space LOOP
Das 2018 eröffnete Hotel Yeonnam in Yeonhui-dong dient als buntes Kulturzentrum, das Kreativen Arbeitsräume und eine Bühne für ihre Werke bietet. Das Café im Erdgeschoss ist für verschiedene kulturelle Events wie Ausstellungen und Musicals konzipiert.
Koreas erster Kunsthandwerksmarkt
Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Korea und Japan, die ein wahres Feuerwerk an kulturellen Events entfachte, stand auch in Hongdae die Frage nach der optimalen Nutzung öffentlicher Flächen im Fokus. In dieser Zeit erklärten die Stadt Seoul und der Bezirk Mapo-gu ein Areal in Hongdae zur Hongdae Culture Street. Im Zentrum dieses Bereichs befand sich ein Kinderspielplatz, bekannt als Hongdae Playground, gegenüber der Hongik Universität. Künstler und Planer aus Hongdae arbeiteten gemeinsam mit Kunst- und Kulturschaffenden aus anderen Regionen an Konzepten für die Nutzung dieses Platzes. Im Mai 2002 entstand so der Rainbow Art Market, Koreas erster Kunsthandwerksmarkt, der den bis dahin wenig genutzten Spielplatz in einen belebten Knotenpunkt des Kunsthandels verwandelte.
Was zuvor als sporadischer Flohmarkt in den verschiedensten Ecken Hongdaes begann, etablierte sich durch den Rainbow Art Market zu einer regelmäßigen Kunst- und Kulturveranstaltung. Der neuartige Kunstmarkt sprach sich schnell herum und lockte jeden Sonntagnachmittag viele Besucher an. Er zeigte, wie ein alltäglicher Ort als Zentrum für Kreativität und Handel fungieren kann.
Der Erfolg des Rainbow Market löste eine landesweite Welle ähnlicher Kunstmärkte aus. Heute hat sich der Markt zwar in ein Studio verlagert, seine Rolle als direkte Schnittstelle zwischen Kunstproduktion und -konsum bleibt jedoch weiterhin bestehen.
Der Pionier der Salonkultur
In den 2000er Jahren entwickelte sich in Hongdae eine ausgeprägte Caféhaus-Kultur, die sich deutlich von der in anderen Stadtteilen abhob. Hier ging es nicht nur darum, guten Kaffee zu genießen und zu entspannen, sondern auch darum, den Austausch und die künstlerische Inspiration zwischen Menschen mit ähnlichen Interessen zu fördern. Die heute so geschätzte Salonkultur war also damals bereits lebendig.
Viele Cafés hatten große Tische, an denen Musikinstrumente und Requisiten für spontane Aufführungen bereitstanden. Überall lagen Kultur- und Kunstflyer aus, und gelegentlich wurden kleine Künstlermärkte abgehalten. Ein Beispiel für diese Salonkultur ist das 2004 eröffnete YRI CAFE. Unter dem Motto „Musik, Kunst, Schreiben, Film – wir schätzen alles“ schafft es eine ungezwungene Atmosphäre und bereichert die Salonkultur mit einem vielfältigen Programm aus Ausstellungen, Lesungen, Aufführungen und Seminaren. Auch in der heutigen Zeit, in der durch die sozialen Netzwerke Geschmack und Interesse immer diverser werden, ist die Bedeutung und Präsenz der Salonkultur in den Cafés von Hongdae nach wie vor unverkennbar.
Das YRI CAFE, 2004 in Seogyo-dong eröffnet, entwickelte sich von einem Treffpunkt für Künstler zu einem multifunktionalen Kulturraum für Lesungen, Ausstellungen, Konzerte und andere Veranstaltungen. Nach seinem Umzug nach Sangsu-dong 2009 wurde es zu einem Wahrzeichen des Viertels.