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2024 SUMMER

Jeonju: Die Stadt der Harmonie

Fragt man Koreaner nach der Stadt, die am besten die Tradition ihres Landes widerspiegelt, fällt die Wahl nicht selten auf Jeonju, Provinz Jeollabuk-do. Kaum verwunderlich, bedenkt man die vielen Hanok-Holzhäuser, die das Stadtbild prägen. Doch neben dem Alten gesellen sich auch verschiedenste Kulturen und innovative Geister, die Jeonju zu einem harmonischen Ganzen formen.

ⓒ shutterstock

Für die Erkundung des Hanok-Dorfs in Jeonju gilt als perfekter Startpunkt der Pavillon Omokdae. Von dem sanften Hügelplateau aus, blickt man auf ein Meer von über 700 Hanok-Häusern, die dicht gedrängt auf rund 300.000 beieinander stehen, und deren dunkelblaue Ziegeldächer den Eindruck erwecken, als würden riesige Wellen hin und her wogen.

Die Ursprünge des Joseon-Reichs

Der Omokdae lohnt nicht bloß wegen seiner guten Aussicht, seine Wände im Inneren zieren Tafeln mit Gedichten wie etwa das geheimnisvolle Daepungga (Lied des Großen Windes):

Der starke Wind erhob sich, die Wolken verflüchtigen sich.
Das Zentrum mit Macht und Kraft unterworfen, bin ich nun zurückgekehrt.
Wo gibt es tapfere Krieger, die alle Seiten bewachen werden?

Die Tafel des Gedichts im Omokdae geht auf König Yi Seong-gye (reg. 1392–1398) zurück, den Gründer des Joseon-Reichs (1392–1910). Noch zu seiner Zeit als General der Goryeo-Epoche (918–1392) soll er es nach erfolgreichem Kampf gegen japanische Piraten bei einer Rast in Jeonju vorgetragen haben. Später sah man seinen Aufenthalt am Omokdae als Omen für den Sturz des alten Königs und die Gründung eines neuen Reiches. Man kann also sagen, das Joseon-Reich hat seinen Anfang in Jeonju genommen.

Das Hanok-Dorf in Jeonju zählt zusammen mit dem Hanok-Dorf im Seouler Viertel Bukchon zu den wichtigsten Denkmalschutzgebieten für traditionelle koreanische Häuser. Vom Omokdae-Pavillon aus wirken die dicht gedrängten, dunkelblauen Ziegeldächer wie eine aufbrandende Wellenformation.

Doch nicht nur der Pavillon verbindet Jeonju mit dem Joseon-Reich. Auch der königliche Schrein Gyeonggijeon (Gyeonggi: erfreuliche und verheißungsvolle Stätte, d. h. Ursprung der Yi-Dynastie) am südlichen Ende des Hanok-Dorfes gilt als wichtiger Ort. Kurz nach Gründung des Reiches ließ Yi Bang-won (König Taejong, reg. 1400–1418) in bedeutenden Städten wie Pjöngjang, Gaeseong, Gyeongju und Yeongheung Gebäude zur Aufbewahrung des Porträts seines Vaters Yi Seong-gye errichten. Der Schrein Gyeonggijeon in Jeonju, Heimatstadt des Yi-Clans, ist ebenfalls eines dieser Gebäude.

Besucher in traditionellen Hanbok-Kleidern im königlichen Schrein Gyeonggijeon (Gyeonggi: erfreuliche und verheißungsvolle Stätte), einer Gedenkstätte für die Ursprünge des Joseon-Reichs.

Die Anlage des Schreins lässt sich in drei Bereiche gliedern: Das Herzstück bildet die Haupthalle Jeongjeon mit dem Porträt von Taejo. Heute ist hier nur eine Kopie ausgestellt, das Original wird hinter der Haupthalle im Royal Portrait Museum verwahrt. Nördlich der Haupthalle befindet sich der Schrein Jogyeongmyo, der den Gedenktafeln von Taejos 22. Vorfahren und dem Ahnherren seines Clans Yi Han sowie dessen Frau gewidmet ist. Zwischen diesen beiden Gebäuden steht das Sago, ein Archiv zur Aufbewahrung des Joseon Wangjo Silok, der Annalen der Joseon-Dynastie. Die Annalen umfassen tägliche Aufzeichnungen der ersten 472 Jahre des Joseon-Reichs und gelten als die weltweit längste geschriebene und einzige Originaldokumentation einer einzelnen Dynastie. In Anerkennung dessen wurden sie zum Nationalschatz Koreas sowie zum UNESCO-Weltdokumentenerbe erklärt.

Mag der Schrein auch von feierlichem Ernst durchdrungen sein, die Steinstele Hamabi vor dem Haupttor und die Wassergefäße Deumeu im Hof der Haupthalle Jeongjeon zeigen auch den Sinn für Humor der Vorfahren. Die Stele Hamabi trägt die Inschrift: „Ab hier soll jeder, unabhängig von seinem Stand, absteigen und zu Fuß weitergehen“. Sie wird von zwei Haechi (mythisches, löwenartiges Wesen mit Horn auf der Stirn) gestützt, die eher schelmisch als streng blicken – ein Merkmal der Steinskulpturen jener Zeit. Die sechs Deumeu dienten als Behälter für Löschwasser, in der Hoffnung, dass sich annähernde Feuerteufel vor ihrem eigenen hässlichen Spiegelbild im Wasser erschrecken und fliehen würden.

Die Hamabi-Stele vor dem Eingang des Gyeonggijeon-Schreins fordert jeden, unabhängig vom Status, zum Absteigen vom Pferd auf.

Zudem repräsentieren weitere historische und kulturelle Stätten Geschichte, Tradition und Ansehen von Jeonju. Dazu gehören das Gebäude Jeolla Gamyeong, der fast 500 Jahre alte Verwaltungssitz der Provinz Jeolla-do sowie der Insel Jeju-do während der Joseon-Zeit, und das Tor Pungnammun, das einzige noch erhaltene Bauwerk der Festung Jeonjubuseong.

Historische Spuren des regen Austauschs

Jeonju ist weit mehr als ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Viele Beispiele zeugen davon, wie sehr eine offene Willkommenskultur für Veränderung sorgen kann.

Direkt gegenüber dem Gyeonggijeon steht die – in Anbetracht all der traditionellen Gebäude fast exotisch wirkende – Katholische Jeondong Kathedrale.

Die Katholische Jeondong Kathedrale, erbaut 1914 im romanisch-byzantinischen Stil, gehört zu den größten der frühen katholischen Kirchen Asiens.

Sie wurde 1914 am Schauplatz eines Martyriums, des ersten in Korea überhaupt, fertiggestellt. Erbauer waren aber nicht in erster Linie Einheimische. Laut dem Buch 100 Jahre Katholische Jeondong Kathedrale wurden fünf Zimmerleute und etwa hundert Steinmetze aus China eingesetzt, die einen Brennofen errichteten und damit insgesamt 650.000 Ziegel anfertigten. Angeführt wurden sie von einem Chinesen namens Kang Ui-gwan, der die Baufirma Ssangheungho leitete und sich für den Bau verschiedener katholischer Gebäude verantwortlich zeichnete. Viele denken bei Jeonju v. a. an das Joseon-Reich bzw. seine Tradition, bei genauer Hinsicht lassen sich aber auch tiefe Spuren eines langen Austauschs mit dem Ausland finden.

Die Verbindung zu China ist unübersehbar. Die Ansiedlung chinesischer Arbeiter, der sog. Kulis (einfache Lohnarbeiter), sowie Händler in Jeonju begann vor 125 Jahren mit der Eröffnung des etwa 50 Kilometer entfernten Hafens Gunsan 1899. Mit der Zeit ließen sich immer mehr Chinesen in Jeonju nieder. Ihnen erschien die Stadt im Vergleich zu Gunsan in vielerlei Hinsicht, besonders betreffend Handel, Kultur und Verwaltung, überlegen. So bildeten sie rund um die heutige China Street in Daga-dong die Gemeinde der „Überseechinesen“.

Zwar waren ein Teil dieser Chinesen in der Reederei oder Landwirtschaft tätig, etwa 60 % von ihnen arbeiteten jedoch vermutlich in Gaststätten und im Textilhandel. Dieser Zustrom brachte einen kulturellen Wandel, v. a. in der Gastronomie, mit sich. So entstand auf der koreanischen Halbinsel eine nie dagewesene Fusion der „koreanisch-chinesischen Küche“.

Mit neu-entwickelten Rezepten passte sie sich rasch den lokalen Zutaten an und eroberte die Gaumen der Einheimischen. Ein typisches Beispiel ist Jjajangmyeon, ein chinesisches Nudelgericht nach koreanischer Art, bei dem nur die schwarze, süße Bohnensauce Chunjang aus China stammt. Die in Jeonju ansässigen Chinesen fügten eine neue Variante hinzu: Muljjajang.

Bei dieser neuen Art von Jjajangmyeon verwendet man statt der sehr fetthaltigen Schwarzbohnenpaste Sojasoße. Sie wird mit Stärke zu einer dickflüssigen Soße verarbeitet, die dann auf gekochte Meeresfrüchte und Mehlnudeln kommt. Dies markierte die Geburtsstunde eines neuen Gerichts, das deutlich eher einer Meeresfrüchte-Nudelsuppe als dem ursprünglichen Jjajangmyeon ähnelt.

Der Erfolg von Muljjajang führte zu Variationen: eine milde und eine – bei Koreanern besonders beliebte – scharfe Version. Diese Varianten verbreiteten sich schon bald in Nachbarstädten wie Gunsan, Iksan und Wanju. In Jeonju wird das Gericht von alteingesessenen Restaurants wie dem Daebojang und dem Jinmibanjeom, geführt von dem chinesischstämmigen Schulleiter der Jeonju Overseas Chinese Primary School Ryu Yeong-baek, weiter angeboten.

Der Zustrom der Chinesen hat nicht nur die Esskultur in Jeonju, sondern auch die auf der gesamten koreanischen Halbinsel maßgeblich bereichert. So kamen verschiedene Zutaten wie Glasnudeln ins Land. Sie werden heutzutage in Bulgogi (mariniertem Rindfleisch), Galbitang (Rinderrippensuppe), Japchae (Glasnudeln mit Gemüse) und sogar Sundae (koreanische Blutwurst) verwendet. Deren Kombination mit koreanischen Zutaten und Rezepten führte zu einem explosionsartigen Wachstum der kulinarischen Kultur.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine kategorische Trennung der Überseechinesen von Jeonju bzw. Korea heutzutage irrelevant. Kultur kennt weder Hierarchien noch Grenzen. Jede Zivilisation hat im Laufe ihrer Geschichte Aspekte anderer Kulturen integriert und fortentwickelt, um ihre Schwächen auszugleichen und Stärken zu maximieren. Jeonju erwies sich als ein einladender Ort für einen solchen Austausch, und genau das macht die Stadt heute aus.

Jeonju Bibimbap: Ergebnis stetiger Innovation

Nichts ist von Anfang an selbstverständlich – das gilt auch für Bibimbap. Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass Jeonju Bibimbap aufgrund seiner Farbenpracht und seines Geschmacksaromas der königlichen Küche entspringe. Das stimmt aber nicht. Seine Beliebtheit ist das Ergebnis unermüdlicher Innovation.

Jeonju Bibimbap, eine lokale Spezialität der Stadt, ist heute eines der bekanntesten Gerichte Koreas. Es gibt über 30 Varianten, deren Zutaten je nach Jahreszeit variieren.

Das älteste Bibimbap-Restaurant in Jeonju, das Hankook Jib, öffnete 1951 seine Pforten. Ursprünglich als Hankook Teokjib bekannt, verkaufte es Reiskuchen und Jeonggwa (mit Honig oder Getreidesirup kandierte Früchte, Ingwer, Lotuswurzel, Ginseng usw.). Später fügte man zur Aufwertung der Speisekarte die Reiskuchensuppe Tteokguk hinzu, die traditionell jedoch nur im Winter verzehrt wurde. Eine Antwort auf dieses saisonale Dilemma gab das Gericht Baengbaengdori.

Baengbaengdori ist ein Ausdruck aus Jeonju für Bibimbap, der das kräftige Umrühren der Zutaten mit einem Löffel oder Spatel beschreibt. Damals wurden auf dem Markt alle Arten von Namu (Gemüse- und Wildgewächse) in eine große Schüssel gegeben, zusammengemischt und den Kunden je nach Bestellung portionsweise serviert. Cho Byung-hee (1910–2003), ein Gelehrter der chinesischen Klassiker und ein Kenner der Geschichte Jeonjus, beschrieb Baengbaengdori in dem Artikel Nambakjang in den 1920er Jahren, der in seinem 1988 vom Jeonju Cultural Center veröffentlichten Essayband Jeonju Pungmulgi (Volkskunde von Jeonju) erschien, wie folgt:

„Hält man in einer Gaststätte Einkehr, erblickt man dort einen stämmigen Arbeiter mit einer großen Schüssel in der Hand. Mit einem oder zwei Löffeln rührt er den Bibimbap kräftig um, summt dabei sogar gelegentlich eine fröhliche Melodie vor sich hin. Seine Geschicklichkeit, die Schüssel geschwind durch die Luft zu wirbeln und wieder einzufangen, gleicht einer Kunst, die man nur auf dem Nambakjang findet.“

Nambakjang, der Markt vor dem Pungnammun, dem Südtor der Festung Jeonjubuseong, ist heute als Jeonju Nammun Markt (Nammun: Südtor) bekannt. Der Markt ist zwar auch schon tagsüber beeindruckend, gilt aber v. a. wegen des täglichen Nachtmarktes als Touristenmekka. Zweifellos war es das Hankook Jib, das den klassischen Baengbaengdori des Nammun Markts mit hochwertigen Zutaten neu interpretierte. Dazu gehörten herkömmliche Gemüse wie Bohnensprossen, Farne, Zucchini und Shiitake-Pilze, saisonale Gemüse wie z. B. Schönaster-Straude und Kegeliger Saftling-Pilze sowie zu guter letzt Yukhoe-Rindfleischtatar als Garnierung.

Heute gibt es in Jeonju neben dem Hankook Jib noch weitere renommierte Bibimbap-Restaurants. Dazu gehören das Ha Suk-yeong Gusseisenkessel Bibimbap (früher: Junganghoegwan), das den Bibimbap mit nahrhaften Zutaten wie Gingkonüssen, Kastanien und Datteln in einem heißen Steintopf serviert, und das Sungmidang, das den Reis vor dem Servieren anbrät. Seitdem das Hankook Jib Anfang der 1950er Jahre Bibimbap verfeinerte, haben zahlreiche Restaurants in Jeonju ihre eigenen Variationen und Innovationen eingeführt. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren bildete sich in Jeonju eine „Bibimbap-Gasse“, die heute ein Muss sowohl für die Einwohner als auch für Touristen ist. Seit 2007 findet sogar jährlich im Herbst das Jeonju Bibimbap Festival statt.

Das 25. Jeonju International Film Festival im Mai zeigte über zehn Tage 232 Filme aus 43 Ländern. Die Veranstaltungen fanden in der ganzen Stadt statt, auch in der Film Street, nur 10–15 Minuten vom Hanok-Dorf entfernt.

Neue Entdeckungen jenseits des Vertrauten

Jeonju gewährt einen tiefen Einblick in Koreas Vergangenheit und Gegenwart: Von dem Fundament des Joseon-Reichs, das fast 500 Jahre lang viele Konflikte überwand, über die Kulturbereicherung durch Menschen- und Güteraustausch bis hin zur Innovationskraft der koreanischen Gesellschaft, die sich auf der Basis ihrer Tradition unermüdlich an Veränderungen anpasste, ohne sich je auf ihren Lorbeeren auszuruhen.

Nicht zufällig wurde Jeonju 2010 als erste Großstadt mit über 500.000 Einwohnern zur internationalen Slow City und 2012 als vierte Stadt weltweit zur Gastronomiestadt des UNESCO Creative Cities-Netzwerks (UCCN) ernannt. Auf viele Arten zeigt Jeonju, wie wichtig es ist, Geschichte und Traditionen nicht nachzuahmen, sondern sie auf Basis einer offenen Willkommenskultur fortzuführen und weiterzuentwickeln.

Kwon Ki-bongSchriftsteller
Fotos Lee Min-hee

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