Der koreanischen Volksmalerei
Minhwa war lange ein Nischendasein beschienen. Doch das allgemeine Interesse wuchs, als ab den 1960er Jahren Kunstsammler und Forscher auf den Plan traten und Künstler mit modernen Minhwa-Interpretationen auf sich aufmerksam machten. Heute ist Minhwa für viele ein Hobby und es gibt zunehmend Wettbewerbe, Kunstmessen und Galerien. Für Shin Sang-mi wurde aus Hobby Beruf: Sie ist Lehrerin für Minhwa-Malerei.
Shin Sang-mi genießt ihre zweite Karriere als Lehrerin für Minhwa-Malerei.
Shin Sang-mis stark frequentiete Schule trägt den Namen „Morihwa“. „Mo“ steht für Besorgnis, „Ri“ für Loslassen und „Hwa“ für Bild, zusammen also: „Malerei, bei der man die Alltagssorgen ziehen lässt“. Gelehrt wird hier die Minhwa-Kunst.
Bei Minhwa handelt es sich um Gebrauchskunst der Joseon-Zeit, die zur Dekoration von Innenräumen Verwendung fand. Die Übersetzung von Minhwa, also „Volksmalerei“, ist wörtlich zu nehmen, da sie aus dem Volk hervorging, für das Volk gemalt und durch das Volk verbreitet wurde.
Farben Schicht für Schicht aufgetragen
Shin Sang-mi hat sich die Woche strikt eingeteilt: An drei Tagen unterrichtet sie, drei Tage sind frei und der verbleibende Tag ist ihr „Lerntag“.
Tage mit Unterricht beginnen um sieben Uhr morgens. Sie schickt ihre Tochter zur Mittelschule und fährt dann mit ihren zwei Hunden ins Atelier. Ihr Arbeitsplatz, ein Officetel (Studioapartment) mit einer Fläche von 69 m², befindet sich in der Nähe des Palastes Gyeongbok-gung, etwa zehn Minuten Fahrtweg von Zuhause.
„Zu Beginn malte ich mit Leuten aus der Nachbarschaft bei mir zu Hause, ohne Geld dafür zu nehmen. Ich entschloss mich dann, das Unterrichten ernsthafter zu betreiben und richtete mir vor etwa einem Jahr ein Atelier ein. Die Nähe zum Palast macht die Miete teuer, aber vielleicht ist es gerade die Lage, die Schüler aus dem ganzen Lande anzieht.“
Am Atelier angekommen, lädt sie ihr Elektroauto auf und macht einen Spaziergang mit den Hunden. Wieder zurück, zieht sie ihre Arbeitsschürze an, gießt Blumen und bereitet sich auf die Unterrichte vor. Der erste beginnt um halb elf und dauert volle drei Stunden.
„Anfangs standen lediglich fünf Tische im Raum. Jetzt sind es schon acht. So können derzeit in einem Unterricht acht Personen sitzen, und es finden insgesamt sechs Kurse in der Woche statt. Es gibt sogar eine Warteliste für freiwerdende Plätze.“
Die Volksmalerei Minhwa unterscheidet nicht groß zwischen ausgebildeten Malern und Nicht-Professionellen. Es gibt nämlich Musterbilder, die es auszumalen gilt. So fällt auch Laien der Einstieg leicht und sie können sich schnell guter Ergebnisse erfreuen.
Natürlich schaffen erfahrenere Maler Werke von höherer Qualität, aber auch Anfänger, die Minhwa als Hobby betreiben, können zufriedenstellende Ergebnisse erzielen.
„Die Arbeit besteht darin, Pulverfarben mit Leim zu vermischen und die Farben dann Schicht für Schicht aufzutragen. Es dauert Monate bis zur Fertigstellung eines Werkes, aber wenn man dem Prozess gelassen wie bei einer Meditation begegnet, erliegt man dem Charme dieser Arbeit, die zum Weitermachen animiert. Es ist der pure Genuss und alle Kursteilnehmer haben viel Spaß.“
Auch ohne besonderes Talent kann je nach Einsatz ein entsprechend gutes Ergebnis erzielt werden. Das Malen schafft zudem Freiräume, in denen man die Alltagssorgen vergisst und völlig bei sich ist.
Volle Konzentration aufs Malen
Bevor Shin Sang-mi Minhwa-Lehrerin wurde, hatte sie 20 Jahre lang als Designerin bei einem großen Unternehmen gearbeitet und Tapeten, Fußböden und Möbelfolien entworfen.
„In den frühen 2000er Jahren gab es in Korea einen großen Markt für PVC-Bodenbelägen mit verschiedenen Designs, Farben und Mustern. Mir kam die Idee, Minhwa-Schmetterlinge als Dekoration zu verwenden und suchte deshalb nach einem Minhwa-Künstler.“
Das war die erste Begegnung mit Minhwa.
„Ich war eine eifrige Angestellte, die wirklich hart gearbeitet hat. Sogar sonntags, obwohl das niemand von mir verlangte. Vor etwa vier Jahren aber habe ich gekündigt, weil mein Kind krank wurde. Es war sehr stressig, plötzlich nicht mehr in der Lage zu sein, das zu tun, was ich jahrelang jeden Tag getan hatte. Mein Körper und Geist gerieten aus den Fugen. Ich dachte: So kann das nicht weitergehen. Ich brauchte eine Tätigkeit, auch wenn es nur das Blumenmalen wäre. Also suchte ich eine Kunstwerkstatt in meiner Nachbarschaft auf und begann mit der Minhwa-Kunst.“
Es hat ihr Spaß gemacht und beim Malen konnte sie jeglichen Kummer loslassen. Eine Zeit lang malte sie fast nur abgesehen von den Mahlzeiten. Irgendwann reichte eine Kunstwerkstatt allein nicht mehr aus, ihren Lerneifer zu befriedigen. Sie besuchte drei bis vier nebeneinander und verbesserte sich enorm. In zwei bzw. drei Jahren lernte sie so viel, wie andere in zehn Jahren. Ihr kam dann der Gedanke, Minhwa für einen Paravent zu malen. Normalerweise eine Arbeit für ein Jahr, aber sie war schon in drei Monaten fertig. Mit dem Paravent gewann sie schließlich den Hauptpreis beim Minhwa-Malwettbewerb Koreas. Das gab ihr das Selbstbewusstsein, ein eigenes Atelier zu eröffnen und Kurse zu geben.
„Es passt einfach nicht zu mir, still zu Hause rumzusitzen. Wenn ich etwas anfange, gebe ich alles, manchmal bis zur Erschöpfung. Ich möchte gelobt werden und gute Leistungen erbringen. Als ich mit dem Malen begann, spürte ich, wie viel Energie mir das bringt. Ich hatte auch mehr Zeit für meine Tochter und wir beide wurden immer gesünder.“
Ein Grund, warum Shin sich innerhalb kürzester Zeit als Minhwa-Künstlerin etablieren konnte, hat mit ihrer Berufserfahrung zu tun, denn 20 Jahre lang hatte sie für das Design von Tapeten, Fußbodenbeläge und Möbelfolien mit Rot, Gelb und Blau Farben gemischt.
„Das Kreieren von Farben war eben zu meiner Spezialität geworden. In der Minhwa-Malerei gibt es keine vorgegebenen Farben. Selbst ein Bild mit identischem Musterbild wird je nach Künstler und Atelier anders koloriert. Man experimentiert solange mit verschiedenen Kombinationen, bis man den für sich stimmigen Farbton gefunden hat. Viele meinen, bei der Minhwa-Malerei gehört es sich, die fünf Kardinalfarben der Yin-Yang-Lehre (Blau, Weiß, Rot, Schwarz und Gelb, die für fünf Richtungen stehen) möglichst ausdrucksstark einzusetzen, aber ich verwende meist Mischfarben bzw. Zwischenfarben. Aus meiner Sicht passen nämlich die fünf Kardinalfarben zwar zu einem Hanok, den traditionellen Häusern Koreas, aber nicht zu modernen Räumlichkeiten. Der Paravent, mit dem ich damals den Wettbewerb gewann, hatte im Vergleich zur Konkurrenz mit Abstand den dunkelsten Farbton. Zurzeit hat es mir ein gedämpftes Gelb bzw. die Senffarbe angetan.“
Jeden Dienstag von 11 bis 17 Uhr besucht Shin zusammen mit etwa einem Dutzend weiteren Teilnehmern den Unterricht eines Minhwa-Meisters, der traditionelle Minhwa-Malerei lehrt.
„Als mir beim Wettbewerb der Preis verliehen wurde, saß in der ersten Reihe eine Gruppe älterer Minhwa-Lehrer. Einer von ihnen sah meinem Vater sehr ähnlich, also ging ich einfach zu ihm und bat darum, mich als Lehrling anzunehmen. Auf einem Bild hat jede Blume und jeder Schmetterling eine Bedeutung, das macht neugierig. Deshalb lese ich viel und nehme am Unterricht teil. Auch in den Pausen tauschen wir uns aus, wenn wir etwas essen oder auch mal ein Glas des traditionellen Reisweins Makgeolli trinken.“
Auch Ungeschick gehört zum Charme
An unterrichtsfreien Tagen geht Shin Sang-mi nicht zum Atelier.
„Eigentlich dachte ich daran, die Werkstatt für meine eigene Malerei zu nutzen, aber der Ort wurde mehr und mehr zu einem Arbeitsplatz, an dem ich nicht auch Freizeit verbringen wollte. Ich male jetzt lieber zu Hause. Da ich aber inzwischen Lehrerin bin und den Ruf des Ateliers zu bedenken habe, fällt mir die eigene Arbeit schwerer als früher. Ich spüre den Druck, alles perfekt machen zu müssen. Viel mehr Spaß macht es mir, den Kursteilnehmern zu helfen und mich an ihren Fortschritten zu erfreuen.“
Es sind überwiegend Frauen zwischen 40 und 60 Jahren, die den Unterricht besuchen. Auf ihren Arbeitstischen liegen überall zerstreut Zeichnungen und Materialien. Während ihre Hände in ständiger Bewegung sind, plaudern sie vergnügt vor sich hin: der perfekte Stressabbau.
Eine Auswahl von Werken von Kursteilnehmern bei Shin. Obwohl sie dieselben Vorlagen verwendet haben, können die Ergebnisse je nach Geschmack und Farbwahl der Hersteller völlig unterschiedlich aussehen.
„Wenn ich male, denke ich an nichts und verliere mich regelrecht in der Arbeit. An meinen freien Tagen faulenze ich fast den ganzen Tag und fange erst abends an. Wenn ich dann zur Besinnung komme, ist es schon früher Morgen. Meine Mutter, die über 70 Jahre alt ist, gehört auch zu meinen Kursteilnehmerinnen. Jeder, unabhängig vom Alter, kann es versuchen und selbst das Ungeschick eines Amateurs gehört zum Charme der Minhwa-Kunst. Mein Atelier hat zwar noch keine Ausstellung ausgerichtet, aber bestimmt würden sich auch unsere Werke wie die der anderen gut verkaufen.“
Die Freude der Kursteilnehmer erlebt Shin als eine Form von Befriedigung, die sie von ihrer Arbeit als Angestellte her nicht kannte. Es gibt Tage, an denen sie bis früh morgens arbeitet, nur drei oder vier Stunden schläft und dann neun Stunden Unterricht hat, ohne viel Zeit zum Essen zu finden. Auch an solchen Tagen ist sie für alles dankbar. Dankbar für den neuen Weg, den sie am Ende einer leidenschaftlichen Karriere gefunden hat, und für die Menschen, die einen langen Weg zurücklegen, nur um von ihr zu lernen.
„Mein Vater ist vor kurzem gestorben. Zurzeit beschäftige ich mich mit einem Bild für ihn. Und zwar eins aus meiner geliebten Senffarbe und Blau.“